Sehen wir uns doch einmal an! Hochgepriesen als Ebenbild unseres
Gottes, wären wir nicht glücklich darüber, entscheiden zu müssen,
entweder (auf Dauer) von der göttlichen Weisheit geküßt, oder den
göttlichen Zorn (auf Dauer) anzunehmen, wenn wir überleben wollen!
Sehen wir uns doch einmal an! |
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Späte Visionen
(Arbeitstitel)
Autor: Gregori Latsch |
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Leser's Wiederholungswunsch |
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Über ihren Sokrates wußten die Athener gut
Bescheid. Seine liderliche Erscheinungsweise störte sie nicht.
Vielleicht mißgönnten sie ihm seine Redekunst, und dachten insgeheim,
wie kann ein häßlicher Mann wie Sokrates solche gescheiten und schönen
Gedanken haben. Doch wer einen bekannten Namen führt, ist auch vor
politischen Intrigen nicht gefeit. Und doch klagten sie gegen ihn, ohne
eigentlich zu wissen, warum. Daß er die Jugend verführe und die alten
Götter nicht verehre – ein peinlicher Vorwand, gegen alle Vernunft
gerichtet. Und der standhafte Sokrates – Platon gab ihm eine traurige
Stimme – hatte es satt, er wollte nicht mehr Fragen stellen. Seine
Antwort war eindeutig: Ich respektiere das Gesetz. Gebt mir den
Schierlingsbecher. – Das geschah auch. Und unter seinen Freunden blieb
keiner ohne Tränen. Zum richtigen Zeitpunkt zu sterben, ist eine schwere
Sache. Auch wir, die Nachkommen alter Demokraten, respektieren das
Gesetz. Die Frage ist: Geschähe das allgemein auf unserem Planeten, gäbe
es dann mehr freie oder mehr glückliche Menschen?
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Einen zweiten Latsch würden die Musen nicht
erlauben. Stöhnen sie nicht jetzt schon unter der Last der
bohrenden Fragen! |
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Jene, die glauben, daß das Schreiben, begünstigt durch den Markt,
eine leichte Sache sei, eine Aneinanderreihung von Worten, mit keiner
besonderen Wissensvermittlung, außer der subjektiven Geltungssucht,
werden nie begreifen, daß Empathie in jedem Wort und
psychologische Reaktion in allen Handlungssträngen stecken muß, wenn
uns die Sache gelingen und dem Leser gefallen soll. |
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B. lächelte in einer unnachahmlich zufriedenen Art. Ich wollte mehr
wissen. Er winkte lässig ab. „Es sind nur wenige Minuten, dann ist
alles vorbei.“ – „Was ist dann alles vorbei?“ „Das Gefühl eines
Glücklichseins“, sagte er, „das ich nicht in Worte fassen kann.“
Damit gaben wir uns zufrieden. |
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Der lachende Philosoph ist keine Erfindung eines Spaßvogels. Alle
Welt weiß, daß die Versuchung groß ist, sich vorzustellen, das Leben
wäre ein endloser Traum, aus dem jeder zu einem anderen Zeitpunkt
erwachen würde, um zu erleben, daß er sich geirrt haben muß. |
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Der schönste Entwicklungsgang in der Evolutions- geschichte wird von
den meisten in der Kultur gesehen, die wir Menschen uns angeeignet
haben, und mit Erfolg praktizieren – so scheint es. Skeptiker
geben zu bedenken, daß diese Entwicklungsstufe nur eine
Alibi-Funktion besitzen würde, verletzten wir doch durch gnadenlose
Kriege und andere grausame Umstände permanent die Würde des
Menschen. Und ist Kultur etwas anderes, als die Bewahrung einer in
uns tief verwurzelten Lust, ein glücklicher Mensch zu sein, der in
Würde sein Dasein fristet! |
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Wir erleben Poeten, die ihre intuitiven Gedanken zumauern mit einem
Wirrwarr an Aussagen, die alles und nichts bedeuten können. Das
sollen neue Wege zu einer poetischen Weitsicht sein – wären da nicht
die Mauern! |
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Thukydides (griech. Historiker, 460 v. Chr.) sagt: „Es bedürfe
des demokratischen Regiments, damit die Armen eine Zuflucht und
die Reichen einen Zügel hätten.“ – Wir sind auf dem richtigen Weg!
Könige, Aristokraten, Tyrannen, übereifrige Populisten haben keine
Chance mehr, unser System infrage zu stellen. Es sei denn, wir
mißachten die Grundbedürfnisse der Menschen.
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Eigentlich ein absurder Gedanke: Es gibt eine
Kultur der Ausbeutung in Demokratien, die sich in einer perversen
GewinnMaximierungsGier äußert. Aber auch sie muß, bei einer
Überreaktion, mit einem fatalen Widerstand rechnen. Hier stellt sich
die Frage: Ist eine übermäßige Bereicherung nicht ein
Kulturfehler, der korrigiert werden müßte? |
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Das Dritte Reich. Sich vorzustellen, daß
alles im Geschick eines Irren lag, der mit der hysterischen
Modulation seiner Sprache, sich und anderen zu gefallen, dem
bescheidenen Selbstwert seiner Person damit einen ungeheuren Auftrieb
verlieh, so daß die Führer-Qualität eigentlich nur eine Täuschung
durch Gesten war, unglaublich naiv in der Wirkung; doch damals,
ja, damals, in einer Zeit, die auf der Suche nach sich selbst war,
und sich nicht fand, da war alles anders. Und so geschah es auch:
Anders als erwartet veränderten sich die Lebensumstände der Menschen
unter unfaßbar zerstörerischen Einwirkungen – und endeten in einem
furiosen Untergang. Alles eine Frage der Banalität. Mit Vernunft
hat das nichts zu tun. |
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O Zeiten, o Sitten! Nehmen sie doch den Frauen die Chance, auf
beiden Bahnen, der Vernunft und der Gefühle, eine Frau zu sein – und
bleiben zu dürfen. |
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Keine leichte Sache, sich einzugestehen, daß die Erde auch ohne uns
Menschen ganz gut zurechtkommen würde – und wir nicht einen Tag ohne
sie. |
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Alle Welt schwärmt von der Poesie der Liebe, des Lebens, der Musik...
Herrlich, diese Begeisterung! – Wie ernüchternd uns dann
zeitgenössische Poeten begegnen, wenn ihr SprachRhythmus sich knorrig
verhält, die Wortwahl eiskalt berührt, und ihre Themen sich mit
allerlei Kleintieren beschäftigen, als hätte es nie eine Evolution
gegeben – aus der Tiefe der poetischen Intuition. |
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Gewappnet mit dem „schlanken Schwert“ der Nächstenliebe zogen wir in
die Schlacht der Religionen. Es war ein schreckliches Erlebnis!
Nur mit Mühe gelang es uns, dem verbalen Massaker zu entkommen.
Zählt unsere „Waffe“ vielleicht doch zum alten Eisen?! |
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Aphorismen aus den 1970er Jahren Titel: Die Schöpfung war ein Irrtum Autor: Gregori Latsch
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Worum die Gefühle bangen, ist ein Leben ohne seelischen Inhalt.
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Der Hofnarr Seiner
Majestät beklagte sich bitter über die Narreteien des Königlichen
Stabes.
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In der
Psychologie ist die Wahrheit auswechselbar, solange das Bewußtsein
träumt.
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Manche
Politiker erwecken den Anschein, als stünden hinter ihnen ganze
Armeen - von Besitzenden.
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Im Konservativismus liegt etwas Bewahrendes, das bewahrt
werden sollte - nicht mehr!
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Aus: Nicht über den eigenen Schatten springen |
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Manche Umstände bleiben unveränderlich |
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Unvorstellbar tapfer strebt die türkische Seele, bei allen
Widerständen des Glaubens, nach dem Sinn der Demokratie. |
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Rhetorische Rohlinge haben keine Ahnung, wie schwer es ist, in Zeiten
der Vernunft mit diplomatischer Gelassenheit eine falsche Meinung
als wahr zu interpretieren. |
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Aus: Späte Visionen (2019/20) - Autor: Gregori Latsch |
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Leser's Wiederholungswunsch
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Liao Yiwu erzählt von seiner Gefängniszeit in
China: Fesseln, Schläge, Elektroschocks, Hitze, Kälte. Und ich
dachte, Laotse wäre bis Peking gekommen.
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Aus:
Freundliche Attacken |
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Wir dürfen nicht vergessen, daß auch Kinder
Träume haben, die eine stille Lebenshoffnung sind. |
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Aus: Späte Visionen (2019/20) |
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Vorsicht, intellektuelle Handgranaten!
* Aphorismen sind wie kunstvoll
geschliffene Edelsteine - doch im Unterschied zu ihnen alles andere
als glatt.
* Aphoristiker
sind Fakire der Sinnverdichtung.
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Sie drängen uns Fragen auf, die sie nicht beantworten, und
provozieren uns, ihre Weite und Tiefe selbst auszuloten.
* Aphorismen brennen sich in unser
Gedächtnis ein, ohne unsere Sinne in Brand zu stecken.
* Sie sind „eine kleine
Unsterblichkeit“, sagte Nietzsche. Sie fordern unsere
uneingeschränkte Neugier heraus.
Otfried Höffe Oktober 2020 |
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Vom Autor Otfried Höffe ist auch der Band: "Der Mensch ist so
notwendig verrückt..." Skizze einer alternativen
Philosophiegeschichte bei Cimarron erschienen:
http://www.cimarron-art.de/libris - Hoeffe.html |