Hommage ´a Dante Alighieri (1265-1321) Nach einem Gemälde aus dem Jahr 1867:
Dante in einem Garten von Florenz
Da geht Dante! Dante
meditiert. Sein Mantel schleift den Boden. Er sieht die Leute nicht, doch
diese sehen Dante, im Park der Liebenden.
Woran denkt Dante Alighieri?
Geht ihm sein Epos durch den Sinn? Sein Schritt ist kurz, die Augen sehn
nach unten. Er schweigt. Und zeigt
ein lächelndes Gesicht. So wandelt
er dahin, als wär sein Schreiten ein sanftes Schweben. Doch Dante ist mit
dieser Erde fest verbunden.
Er lächelt immer noch. Ach ja, es ist noch
jemand bei ihm: Die Muse! Sie führt ihn, spendet ihm den wohlverdienten
Trost.
Von ihr empfängt er jene Bilder, die unauslöschlich tief in
seinem Herzen eingeschlossen sind: Der Grundstein für die Göttliche
Komödie.
Aus: Späte Visionen (Arbeitstitel) Autor: Gregori Latsch - Genre: Poetische Texte
Leser's Wiederholungswunsch
Kleid des
Abends
Am Ende, wenn die Worte still geworden
sind, und unsere Blicke
durch Gedanken streifen, die Hände
zärtlich nach dem andern greifen,
und die Beklommenheit der Sinne
ein altes Spiel verspricht,
auf das wir schon so lange warten,
löst du das Kleid des Abends –
und ich umarme dich.
Wie
sanft ein solcher schöner Anfang ist. Und wie wir beide nichts vom
Glück versäumen.
Und manchmal unser Herz die Welt vergißt, als
wär sie nur ein Ort zum Träumen.
Endzeit
Nicht mehr wahrgenommen, was die Jahreszeiten bewegt. Der Amseln
Gesang – ein trauriger Akkord. Wozu das Lachen taugt! Im Geschrei
der Menschen – eine müde Last. Ein teuflischer Immobiliengewinn –
doch für wen!? Was sie alles verschweigt – die Umarmung. Selbst
von dauerhaftem Charakter... betrübt die Liebe. All unsere
unerfüllten Träume – ein Sturzbach der Erinnerung. Nachdenken über
das Glück – wie lange noch!?
So viele gute Lebensgründe, die
unsere Seele erwärmen, gesammelt, vergessen im Gewirr unserer
Gedanken, nicht mehr auffindbar. Die Suche danach abgebrochen.
Fragt niemand nach dem Wert unserer Lebensform, was übrigbleibt,
wenn wir den großen Ballast unnötiger Dinge und Gefühle abgeworfen
haben!?
Sind wir noch immer ein wichtiges Glied der
menschlichen Kette, ohne ihr anzugehören!?
Aus: Eine Nation ist kein Garten Eden Autor:
Gregori Latsch
Notwendige Erinnerungen
Geboren in der Zeit neuer
wilder Horden von diszipliniertem Format, Anhänger des Stechschritts,
Gläubige der Unvernunft und der Intoleranz. Namen sind nicht der Rede
wert. 1939. So beginnen wir unsere
Tage.
Mit dem Schrecken der Bombardierung
gelebt. Das Haus
am Bahndamm – von einer Luftmine zerstört, und alle Erinnerungen im Innern
unseres Herzens. Ausgebombt!
1945.
Das Jahr, in dem die Kindheit ihren Sinn verlor. Und Orpheus sich verirrte
– im Labyrinth der Zeit.
Aufgewachsen in der beengten Fülle einer
proletarischen Familie, sieben lebende Kinder von acht geborenen. Das Lied
von der Mutterliebe singen und schweigen gehört. Streit. Soziale Armut.
Geistige Unbe- kümmertheit. Politische Apathie.
1950. So verbringt man seine Tage.
Großgeworden in den Tagen der Autorität. Durch der
Hände Arbeit zum Überleben beigetragen. Wegen unerwünschten
Verbesserungsvorschlägen vor den Vorstand zitiert. Den Begriff
„irrational“ erklärt. Böse Kommentare geerntet. Dem Vater die Gedanken
erschüttert. Die Wirklichkeit in Kinosälen erfahren.
1955. So verbringt man seine Tage.
Vor dem Absprung ins Wasser umgekehrt und dem
Willen, zu überleben, ein Schnippchen geschlagen. Der Ära der Anpassung
gehuldigt. Dabei seinem Worte treu geblieben; ohne zu verhungern – im
geistigen Reichtum ertrunken. Von den inkommensurablen Gedanken alter
Freunde gezehrt. Laotse, Sokrates und Schopenhauer. Angepaßt geblieben, um
zu überleben. 1960. So verbringt man
seine Tage.
Aus der Provinz geflüchtet, in die Welt geistiger
Halbheiten. Dem Durcheinander städtischer Ent- wicklungen gewichen.
Cliquen verlassen, von alten Freunden ermahnt, zu dem Schoß des Lebens
zurückzufinden. Die Natur begriffen und darüber geschwiegen.
1965. So verbringt man seine Tage.
Das Alleinsein aufgegeben. Dem Planeten neue
Gesichter beschert. Vom angepaßten Rhythmus nicht abgewichen. Aus der Wut
früher Erkenntnis auf die Straße gegangen, demonstriert, diskutiert,
fotografiert. Alte Ansichten der Kommu- nikation erneuert. Ideologien in den
geistigen Hinterhof verbannt. Eine Idee zurückbehalten. Für später.
1970 So verbringt man seine Tage.
Dem zerstörenden Trott der Existenzsicherung in die
Fresse gespuckt. Alte Kampftechniken wieder aufgenommen. Budo und Zen. Den
Willen der 60er Jahre erneuert. Von dem errichteten Berg der Ideen einige
Brocken abgetragen und ins Land geworfen. Im Wald der toten Bäume liegen
sie nun herum. Den Himmel gebeten, die Kronen der Bäume zu kappen. Eine
Antwort steht noch aus. Die Wirklichkeit in den Griff bekommen. Von der
Geduld einen großen Preis erhalten. Das Geld auf die Bank getragen:
Cimarron ’77. Der Sklave hat seine Freiheit zurückerhalten. Die neuen
Peitschenhiebe gehen tiefer ein. Allein geblieben, ohne allein zu sein.
1979
Nun fragen mich die Tage, wohin das noch führen
soll.Aus welchen Gründen auch immer die Welt des Kapitals gewählt, den
freien Mann gespielt: Einrichter von Praxen und Büros – etcetera. Und die
Ideen des Schreibens auf die lange Bank gelegt. So arrangiert man sich mit
seinem Selbst. 1985 Die schönen frühen
Träume sind heimlich emigriert.
Allmählich werden die Gedanken schwerer, und das
Herz springt immer noch der Liebe und dem Leben hinterher. Wie schnell
das Alter uns erreicht. Und auf den Konten reift der Wunsch, aufs Land zu
ziehen. Mit neuen Freunden einen neuen Kreis gewagt: Cimarron art, das
Buch bleibt unser größter Mythenschatz. 1995
Was täglich aus den Sternen fällt. Ein Medium besinnt sich der Ideen.
Mit guten Partnern überlebst du jede Zeit. Und wie
geplant aufs Land, ins eigene Haus gezogen. Und immer noch verbunden mit
Helen. Und eines Tages glaubst du dann an dich und siehst viel tiefer in
das eigene Ich. 2001 Die Götter haben
mir verziehen. Nun weiß ich, wie man mit Gedanken überlisten kann. War
das der Abschied von der Kindheit wert?
2004 Was für ein
langer Weg in dieser kurzen Zeit! Ich habe nichts dazugelernt, und warte
auf das letzte große Wort. Das soll an diesem Tag die Liebe sein.
Nach sieben Sommern auf dem Land vom eigenen Besitz
getrieben. Es gibt sie noch, die bösen Hinterwäldler, besonders auf dem
flachen Land. Schon achtzehn Mal von Stadt zu Stadt gezogen, und dieses
Mal in einer Metropole eingekehrt: Berlin.
2007 Das war ein
Irrtum! Berlin ist (k)eine Reise wert. Die Stadt ist laut, zu weit
gedehnt, und hohe Mieten sind kein freundliches Signal. Und immer noch
lebt jeder an dem anderen vorbei. Du lebst dich arm in einer solchen
Stadt. Auch wenn die Assoziationen unermeßlich sind; was dich beglückt,
kommt doch nur aus dir selbst.
2009 Aufs Land
zurückgekehrt, zu der Idee der schönen Bücher. Cimarron libris, exquisit.
Und in der Trilogie poetischer Gedanken einen neuen Sinn gefunden – zu
überleben in der Zeit.
2011 Die Tage
zählen wir nicht mehr. Und unser Staunen über diese Welt hat sich schon
lange abgekühlt. Und manche alte Frage versteckt sich immer noch in
unserer Hinterhand: Sind war ganz sicher wir? Und bleiben wir auch, wer
wir sind?
2014 Mit
fünfundsiebzig Jahren ruht das Leben sich allmählich aus, greift nicht
mehr gern nach einem neuen Bild, sieht sich die alten Bilder an. Und
doch, wie es auch immer weitergehen mag, der Wille ist so, wie er immer war,
ein Teil des anderen Ichs – und unberechenbar.
Was ist das, was uns vorwärts treibt und nicht mehr
ruhen läßt? Die Zeit? Und wer hat sie uns in den Schoß gelegt? Was bleibt
von dieser Welt, wenn wir uns nicht verstehn? Ein kalter runder Stern, mit
Wasser vollgefüllt? Und irgendwann, der Himmel weiß, warum, wird dieser
Zauber unserer Phantasie, auch blauer Stern genannt, mit seiner letzten
Lebenslast in Würde untergehn.
Das war‘s, Poet! Und was noch kommt,
du weißt es nicht. Die Lust, stark wie ein Mensch zu sein, bleibt uns noch
lange treu. Ist das der Grund, warum wir so verletzlich sind?
2022 Ist das der Abschied – doch wovon? Acht Jahre sind
vergangen, schon lange über achtzig – noch nie daran gedacht. Mit einer
wunderbaren Leichtigkeit die Frage auf den Punkt gebracht: War alles nur
ein Irrtum vor der Zeit? Von wem auch immer ausgedacht.
Das ist kein
Fabulieren, wie es uns gefällt, das kommt aus einem anderen Bereich, der
uns sehr spät erst ins Bewußtsein fällt – und uns ein großes Staunen
hinterläßt.
Und dann den Engel schickt – zu einem Flirt?!
Ist das
die Macht, die auch Corona hat ins Spiel gebracht, die alles lenkt, warum?
Wir wissen‘s nicht. Und auch dem Alter fällt es schwer, daran zu glauben,
daß der poetische Gedanke seinen Sinn verliert.
Aus: Gib acht, mein Herz Reihe: Cimarron
bibliophil Autor: Gregori Latsch
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