Esprit
 

Mit Worten siegen

Intellektuelle an die Front! Werft euch hinein in den Krieg mit Worten! Zeigt eurem Gegner, Widersacher, wer ihr seid – keine aufmüpfigen Köpfe, sondern kühl denkende Menschen, die
wissen, was auf dem Spiel der Gedanken steht. –
Und diese sind auf unserer Seite. Wir entwickeln Strategien des Geistes; bis ins kleinste Detail der Vernunft wagen wir uns vor, beobachten aufmerksam, mit welchen Waffen ihrer Vernunft die Gegenseite sich durchsetzen will, ohne ihr Gesicht zu verlieren, verfügen wir doch über die besseren Argumente – und Einsichten! – Und damit schlagen wir alle in die Flucht; zurück bleiben erschrockene Seelen, die an sich verzweifeln, und nicht verstehen können, daß die überlegenen Waffen immer aus der größeren Vernunft kommen; sind es doch unsere Worte, mit denen wir siegen, die uns weiterbringen, über jeden Graben unserer Gedankenfeinde hinweg, bis wir ihre Städte erreicht haben – und auf den Marktplätzen ihrer Unvernunft werden wir den Disput in neue Bahnen lenken. Unsere Einsicht läßt keine andere Reglung zu. Es wäre töricht, an unseren Worten zu zweifeln.

Das ist Verführung pur

Dieser Mann stand immer schon auf verlorenem
Posten. Seht ihn euch an! Mit seinem düsteren
Blick hält er die Zeit nicht auf.
Was hat ihn nur bewogen, sich als Erlöser
zu bezeichnen?! Und fragt man ihn, wovon
er wen erlösen will, schweigt er sich aus.
Ist er es, der den Leuten neue Arbeitsplätze
bringt? Hält er die Stadt von Verbrechern
frei? Sorgt er sich – wie die Richter – um den
Frieden in der Welt? Und spendet er den Trost
und auch die Mittel, wenn die Naturgewalt
sein Land zerstört?!
Das alles kann er nicht, und will er auch nicht
tun. Sein Tätigkeitsgebiet ist die Politik; sein
Genre hat mit diplomatischem Verständnis nichts
am Hut. Er ist für die Gewalt, in jeder Form, solange
sie dem eigenen Fortschritt dient.
Er schart die Schwachen und Verlorenen um sich.
Sie glauben seinem Wort, daß ihnen eines Tages
dieses Land gehört, das seine Zukunft lange schon
verloren hat.
Und so verändert sich das Bild vom inneren Frieden
nach und nach. Ich sage euch, der Mann weiß
nicht, wovon er spricht!
Das Dumme ist, er glaubt daran.

Arbeitstitel: Späte Visionen
Autor: Gregori Latsch

 

Spannung

Ein alter, abenteuerlicher Typ, ein Mann von der Straße, in abgetragener Kleidung, verschmutzt und ohne gute Laune, aber behangen mit Plastiktüten, in denen er Bierflaschen beförderte, bewegte sich nur unweit von Richard Marschall auf dem gleichen abgenutzten Schotterweg, der zu dem Areal führte, das Marschall gehörte.
Die Ohren des Mannes waren auch nicht mehr intakt, sonst hätte er Marschall hören müssen, als dieser sich mit dem Wagen übermütig in die Kurve legte, in der jener alte Mann nichtsahnend seinem Ziel entgegenstrebte.
Marschall streifte den Alten von der Seite, so daß dieser mitsamt den Bierflaschen in das Unterholz geschleudert wurde, das sich überall ausgebreitet hatte.
„O, nein!“ Das war Marschalls erster Kommentar, bevor er ausstieg und nachsah, was mit seinem Wagen geschehen war. Dann wandte er sich verärgert dem am Boden liegenden Mann zu, dessen Stöhnen er großzügig überhörte, und dessen Kleidung ihn sehr enttäuschte.
Der andere war klein und schwach, und schmutzig, sein Mund war fast ohne Zähne. Er hatte seine Schuhe verloren. Die Strümpfe waren verdreckt. Es war Sommerzeit, doch der alte Mann trug einen Wollpullover und eine dunkle, zerrissene, schwere Jacke.
Marschall fehlten die Worte. Er sah sich um und wußte, daß niemand in der Nähe war. Und dann begann er zu schimpfen.
„Du verdammter Penner! Paß nächstens besser auf! Was treibst du dich hier überhaupt herum!?“
Der alte Mann hob die Hand und wollte etwas sagen.
„Ist schon gut!“ Marschall nahm aus seiner Geldbörse einen Schein, zerknüllte ihn und warf ihn dem alten Mann in den Schoß.
„Hier! Kauf dir ein neues Bier!“ Danach ging er zum Wagen zurück. „Verdammter Penner!“ Das mußte er noch loswerden. Doch ganz glücklich war er nicht mit seinem raschen Abgang. Am liebsten wäre er zurückgefahren. Er hielt den Wagen an und dachte darüber nach, dann entschloß er sich, weiterzufahren.
Es war immer ein Erfolgserlebnis für ihn, sich schon vorher vorzustellen, wie das Areal aussehen würde, wenn es bebaut wäre. Und das sollte jetzt wieder geschehen.

Aus einem der erhalten gebliebenen Räume der alten Fabrik entdeckte ein Mann Marschalls Wagen auf dem Schotterweg, der zur Fabrik führte. Er verließ den Raum und stürmte die breiten Eisentreppen nach unten, wo sich zwei weitere Männer aufhielten; alle drei hätten bei keiner Bank mehr irgendeinen Kredit bekommen.
„Da kommt einer in einem Superwagen.“
Der Angesprochene, ein resolut auftretender Mann, dessen äußeres Erscheinungsbild einen leicht gepflegteren Eindruck hinterließ, schlug sein Buch zusammen, steckte es in seine schwarze Lederjacke und marschierte nach draußen, gefolgt von seinen beiden Kumpeln.
Sie hörten den Wagen kommen, warteten ab, bis er in den Innenhof gefahren war und verschwanden dann in einem Teil der baufälligen Anlage, in dem eigentlich nur Ratten ein sicheres Zuhause besaßen.
Richard Marschall stand allein und ein bißchen verloren im riesigen Innenhof der alten Fabrik. Ihm war wieder eingefallen, daß er wegen des Abrisses der Anlage noch mit seinem Architekten sprechen mußte.
Das ist ein riesiges Stück Arbeit, sagte er sich. Doch nur weil er die alte Anlage mit übernommen hatte, war es ihm gelungen, den Gesamtpreis für das Areal kräftig nach unten zu drücken. Und darauf war er mächtig stolz.
Abgerechnet wird zum Schluß, sagte er sich. Und beinahe hätte er seiner Freude Luft gemacht und etwas Verrücktes in den Tag geschrien, wäre ihm nicht der Schatten eines Menschen aufgefallen, den er in der Nähe seines Wagens entdeckt hatte.
An seinem Auto angekommen, hielt er einen Moment inne, doch weder hörte noch sah er einen Menschen. Sein Blick zum Lenkrad belehrte ihn eines Besseren. Der Autoschlüssel fehlte! Er tastete seine Hosen- und Jackentaschen ab, ohne Erfolg. Der Schlüssel blieb verschwunden.
Danach öffnete er die Autotür, beugte sich nach unten und suchte auf dem Boden, unter dem Sitz und zwischen den Ablagen nach ihm. Als er sich aufrichtete, stand ein großer, resolut wirkender Mann neben ihm, dessen äußeres Erscheinungsbild einen fast normalen Eindruck machte. Doch ganz traute er ihm nicht.
Der Mann hielt den Autoschlüssel in der Hand und zeigte wenig Neigung, ihn seinem Besitzer zurückzugeben.
„Suchen Sie den?“
„Wer sind Sie?“ Marschall fiel nichts Besseres ein.
Der andere zeigte zu der Fabrikanlage, aus der seine beiden Kumpel traten.
„Wir haben Sie kommen sehen und uns gefragt, was Sie hier wohl suchen“
Marschall musterte die Männer mit einer verächtlichen Miene. Sie erinnerten ihn vom Aussehen her an den angefahrenen alten Mann, doch daran wollte er jetzt lieber nicht denken.
„Mir gehört dieses Gelände, und alles was darauf steht.“
Der resolut wirkende Mann trat einen Schritt zurück, der Autoschlüssel baumelte noch immer an seinem Finger.
„Was!? Mann, das ist doch ein Schrotthaufen!“
„Aus diesem Schrotthaufen machen wir moderne Eigentumswohnungen.“ Und dazu lächelte Marschall überlegen.
Der Anführer war um den Wagen herum zu seinen Kumpeln gegangen. „Habt ihr gehört, er will euch hier rausschmeißen!“ Sein Blick fiel auf Marschall. „Ich weiß nicht, ob das so einfach ist.“
Marschall sah den andern überrascht an. „Wie meinen Sie das?“
Der Anführer lächelte. „Ist das so schwer zu verstehen?! Wir haben hier unsere Bleibe!“ Er machte eine ausladende Armbewegung. „Gehört alles uns, seit einem Jahr.“ Er sah Marschall eindringlich an. „Sie hätten mit uns sprechen sollen.“
Sein Blick streifte die Männer. „Nicht wahr?“
„Ja!“ hörte Marschall einen der Männer überlaut sagen, als hätte er Freude daran, ein Ja-Sager zu sein.
„Hätte er, unbedingt!“ bemerkte der dritte im Bunde.
Der Anführer wandte sich wieder Marschall zu. „Sie haben’s gehört! – Es gibt so was wie ein Gewohnheitsrecht. Wir sind Menschen!“ Er blickte zu seinen Männern. „Oder sehen wir wie Tiere aus?“
„Nein! Keine Tiere.“ – „Wir sind doch keine Affen!“ Die Kommentare der Männer.
„Da hören Sie’s!“ sagte der Anführer. „Was wollen Sie jetzt tun?“
Marschall war still geworden. Er wurde das Gefühl nicht los, auf verlorenem Posten zu stehen. Auf keinen Fall wollte er die Männer unnötig reizen. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, daß sie zu Gewalt neigten. Das Gefühl der Angst verstärkte sich in ihm.

   
Textbeispiel

Leser's Wiederholungswunsch

Kleines aphoristisch-philosophisches Potpourri

Immanuel Kant - Nikolaus von Kues - Blaise Pascal


„Le vieux Caton disait en son temps, qu’autant de valets autant d’ennemis.“ („Der ältere Cato sagt,
daß die Weisen mehr von den Toren zu lernen haben, als die Toren von den Weisen.“)
*
Die Vernunft ist eine Kompetenz, an der jeder Mensch teilhat und die zu Einsichten befähigt, die weder einer nur in Studierzimmern zu erwerbenden Gelehrsamkeit noch einer Rednerbegabung bedarf.
*
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes
zu bedienen!“
*
Der Vernunft spotten heißt, der wahren Vernunft
das Wort reden.
*
„Der Mensch lebt so notwendig aus Leidenschaften heraus, daß es nur eine andere Art von Leidenschaft wäre, keiner Leidenschaft zu folgen.“
*

Aus:
„Les hommes sont si nécessairement fous“
Skizze einer alternativen Philosophiegeschichte
Autor: Otfried Höffe
Reihe: Cimarron libris, Band 15

 

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